Korruption in unserer Gesellschaft

Wer die Leidtragenden sind, wenn Bestechung im Spiel ist, und vor welchen moralischen Dilemmata wir stehen
Erschienen im Standard, am 21.10.2021

Vor einiger Zeit, bevor die Corona-Pandemie ihren Lauf nahm, besuchte ich zum ersten Mal Russland. Im Hotel angekommen, verlangte ein Mitarbeiter eine “Touristenabgabe”, obwohl im Vorfeld zugesichert wurde, bereits alles bezahlt zu haben. Man legte mir nahe, dass es besser wäre, zu bezahlen, um sicherzustellen, dass das Gepäck auch während meines Aufenthalts ordentlich verwahrt wird. Als ich mich mit Mitarbeitern des Hotels im Anschluss daran unterhielt, argumentierten ironischerweise sowohl die korrupten Mitarbeiter als auch ihre Handlanger, dass die Zahlung von Schmiergeldern in Russland ganz normale Praxis sei.

Korruption ist jedoch immer auch eine Frage der Definition und Auslegung. Wenn Sie für gesundheitliche Leistungen in einem Entwicklungsland einen Arzt bezahlen, um eine bessere medizinische Behandlung zu erhalten, spricht man von korrupten Vorgängen. Zahlen Menschen in entwickelten Ländern Prämien an Versicherungsgesellschaften für private gesundheitliche Leistungen, um so schnellere und qualitativ hochwertigere Behandlungen zu erfahren, so wirft dies ebenso moralische Fragen auf.

Auswirkungen auf Unternehmen

Stellt man Nachforschungen über Bestechung und ihre Auswirkungen auf das Geschäft in Entwicklungsländern an, so zeigt sich, dass je mehr Geld ein Unternehmen an Bestechungsgeldern zahlt, desto schlechter die geschäftliche Entwicklung dieser Unternehmen ist. Weigern sich Unternehmen, Bestechungsgelder zu zahlen, weisen diese insgesamt ein noch geringeres Wachstum auf. Zahlen sie jedoch so wenig wie möglich an Bestechungsgeldern, weisen diese langfristig ein höheres Wachstum auf. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es für diese Unternehmen keine Option ist, überhaupt keine Bestechungsgelder zu zahlen, da dies zur Schließung des Unternehmens führt und die Zukunft der Mitarbeiter ebenso auf dem Spiel steht.

Am Ende werden die Zahlungen von Bestechungsgeldern buchstäblich zu den Kosten für die Geschäftsabwicklung, denn wenn sie sich weigern, werden sie keine Geschäfte tätigen, und ihre Mitarbeiter verlieren den Arbeitsplatz. Die Studienlage sagt somit, dass es für die Geschäftstätigkeit in einem korrupten Land am besten wäre, Gelder zu zahlen, aber nur so wenig wie unbedingt notwendig. Dies ist natürlich moralisch verwerflich, jedoch Realität und zeigt die Konsequenzen der Geschäftstätigkeit in diesen Ländern. Am besten wäre es natürlich, die Korruption auf politischer, gesellschaftlicher und unternehmerischer Ebene zu bekämpfen. Aber blicken wir der Realität ins Auge, so sehen wir, dass kaum ein Land freiwillig und erfolgreich Korruption bekämpft hat. Griechenland und einige osteuropäische Statten taten dies nur auf Druck der Europäischen Union.

Geldanlage und unsaubere Verhaltensweisen

In der Vergangenheit waren Finanzinstitute und involvierte Akteure immer wieder versucht, nicht im besten Interesse ihre Kunden zu arbeiten, da “Kick-backs” (versteckte Provisionszahlungen) für empfohlene und an Kunden verkaufte Produkte flossen. Das Ergebnis war und ist immer noch, dass die Portfolios beziehungsweise Anlageklassen der jeweiligen Klienten und Endkonsumenten hauptsächlich nicht mit oftmals günstigeren Fonds (passiven Produkten), die bessere Leistungen erzielen, bestückt werden, sondern mit aktiven Fonds, die zumeist für große Finanzinstitutionen die größten Provisionszahlungen abwerfen. Mittlerweise gibt es eine Reihe gesetzlicher Initiativen, jedoch müssen Finanzinstitute zumindest die Gebühren offenlegen, die sie aus angebotenen Fonds beziehungsweise Produkten erhalten. Parallelen können hier mit institutionellen Anlegern gezogen werden, die für Marktberichte und Research über “Soft-Dollars” bezahlt werden, indem diese Aufträge, beispielsweise für den Handel von Wertpapieren, lediglich an einen bestimmten Broker weiterleiten. Die MiFID-Richtlinien der Europäischen Union brachten hier Verbesserungen, konnten jedoch nicht alle nachteiligen Effekte für die Endverbraucher beseitigen.

Alles steht und fällt mit den Menschen

In den unterschiedlichsten Ländern unserer Welt müssen wir manchmal den Tatsachen ins Auge blicken und akzeptieren, dass Unternehmen moralisch verwerfliche Handlungen setzen, um Menschen zu helfen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (wie zum Beispiel die Sicherung von Arbeitsplätzen) und um auf diese Weise ein besseres Leben zu führen. Dreh- und Angelpunkt der Korruption ist, dass es sich dabei am Ende um verlorenes Geld handelt, welches nicht in produktive Zwecke fließt und den Menschen letztendlich nicht zugutekommt. Die Welt ist nicht immer schwarz oder weiß – und häufig stehen wir vor einem moralischen Dilemma, das ähnlich wie im Falle ethischer Investments (ESG-Investitionen) tief verwurzelt ist und auf das es keine einzige Antwort gibt. (Bernhard Führer, 20.10.2021)